Hylemorphismus

Hylemorphismus
   (griech. = die Lehre von der ”hyle“, der ersten Materie, u. der ”morphe“, der ersten Wesensform) heißt die auf Aristoteles († 322 v.Chr.) zurückgehende Lehre, daß bei allen körperhaften, bewegten Dingen die beiden Wesensbestandteile, die Materie u. die Form, zu einer Einheit verbunden sind. Der Begriff H. wurde erst in der Zeit der Neuscholastik (19.–20. Jh.) gebildet. Der H. wurde vom 12. Jh. an in die scholastische Philosophie u. Theologie eingeführt u. am konsequentesten bei Thomas von Aquin († 1274) ausgebildet. Bei ihm ist dadurch, daß er die beiden Wesensbestandteile als Teilsubstanzen, die auf einander einwirken, dachte, die Einheit der Substanz gewahrt. Dem H. liegt die Vorstellung zugrunde, daß das Körperhafte ein substantielles Wesen ist, das durch eine ”erste Materie“ konstituiert ist. Auf diese wirkt ein substantielles Gestaltprinzip ein, das auch wechseln kann, das durch eine äußere Wirkursache hervorgebracht wird (Kausalität), das die Verschiedenheit der Art begründet u. das die Materie zu dem bestimmt, was sie vorher in Potenz schon war; dieses Gestaltprinzip heißt die ”Form“ (Akt). Aus dem Einwirken der Form auf die Materie entsteht die ”zweite Materie“, die also immer ”hylemorph“ konstituiert ist. Diese zuerst bei Aristoteles naturphilosophisch verwendete Sicht übertrug die Scholastik zur deutlicheren Beschreibung theologischer Sachverhalte auf die Metaphysik. Gegen den Thomismus nahmen die Franziskanerschule u. F. Suárez († 1617) einen Pluralismus der Formen an. In der Lehre von der Transsubstantiation ging man von einem Ausnahmefall des substantiellenWerdens aus, da sich bei ihr die Materie nicht durchhalte, sondern die ganze Substanz, Materie u. Form, verwandelt würde. In hylemorpher Begrifflichkeit beschrieb das Konzil von Vienne 1311 das Verhältnis von Leib u. Seele (ohne den H. zu dogmatisieren). Ferner spielte der H. in der scholastischen Lehre von der Heiligmachenden Gnade als der ”Formalursache“ der Rechtfertigung eine Rolle. Durch Hugo von St. Cher († 1263) wurde der H. in die Sakramententheologie eingeführt, um die Einheit des sakramentalen Zeichens aus der äußeren Symbolhandlung (”Materie“) u. dem deutenden Wort (”Form“) zum Ausdruck zu bringen. Auch die Hypostatische Union, die Einwohnung des Heiligen Geistes, die Anschauung Gottes u. die Erbsünde wurden hylemorphistisch-schematisch gedeutet. Die Theorie des H. würde von naturwissenschaftlichen Erforschungen der ”Zusammensetzung“ anorganischer Körper u. organischer Lebewesen nicht betroffen, da sich der H. nur auf ”metaphysische Zusammensetzung“ bezieht.

Neues Theologisches Wörterbuch. . 2012.

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